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Toffkarbrateln

Private Homepage von Bernd Schwerdt, Hamburg                  

Seit vorgestern ging es ihm nicht mehr aus dem Sinn. Begonnen hatte es am Dienstag. Er ging nach der Arbeit von der Bushaltestelle nach Hause. Auf Höhe der Apotheke traf es ihn völlig unvorbereitet. Aus einem gekippten Fenster im ersten Stock stieg ihm der Geruch von gedünsteten Zwiebeln in die Nase. Er sog die Luft mehrmals durch die Nase ein und kam zu dem Schluss, dass die Zwiebeln in Speck gedünstet wurden. Das, sagte er laut vor sich hin, ist der erste Schritt zu Bratkartoffeln.
Diesen Geruch hatte er seit seiner frühen Kindheit gespeichert und jetzt liefen die Bilder in seinem Kopf wie in einem Film ab. Meistens freitags gab es Bratkartoffeln. Als er noch zur Schule ging und der Vater noch arbeitete, machte seine Mutter die Bratkartoffeln. Später, als der Vater Rentner war, würfelte der die Zwiebeln. Er pellte die am Vortag in der Schale gekochten Kartoffeln und schnitt sie in Scheiben. "Die Kartoffelscheiben müssen möglichst gleich gross sein, damit sie zusammen gar werden. Und die Zwiebeln darf man auf keinen Fall anbrennen lassen, mein Jung. sonst schmecken sie bitter, Gebraten wird das alles natürlich in ausgelassenem Speck." Er wunderte sich damals, dass die Eltern ein solches Aufheben von Bratkartoffeln machten.

Bratskartoffeln, wie sie der Geheimrat Professor Brats selbst erfunden hat, hatte er einmal bei Tucholsky gelesen und lächelte still in sich hinein. Als er noch Fussball spielte, ging er nach dem Training ins Clubheim und dort bestellten sie sich meist Bratkartoffeln mit Rührei und Speck und dazu eine Fassbrause. Keiner wusste so recht, wo das herkam, aber schon damals nannten sie die Bratkartoffeln immer Toffkarbrateln. 
Das wäre jetzt genau das Richtige. Eine ordentliche Portion Toffkarbrateln. Und dann genüsslich auf den kross gebratenen Speckwürfeln rumknuspern. Der Gedanke daran weckte prompt Erinnerungen an sein Elternhaus. Die Bratkartoffeln selbst fanden sie früher nicht so wichtig. Dann schon eher die krossen Speckstückchen. Aber am spannendsten war für ihn und seine Geschwister, was es denn zu den Bratkartoffeln gibt.
Entweder briet die Mutter Spiegeleier dazu, oder es gab eingelegte Bratheringe. Kalt, aus der grossen Schüssel, die in der Speisekammer stand. Das gefiel ihnen nicht mit den vielen Gräten (“die kleinen Gräten könnt ihr mitessen”) und der wabbeligen, grauen Haut und den sauren Zwiebelringen.
Oder es gab Knackwürste dazu, "Unsortierte" direkt von der Metzgerei. Die schnitt die Mutter in Scheiben und briet sie scharf in Speck an. Die waren dann so herrlich knusprig. “Unsortierte” hätte es ihretwegen jedes Mal zu den Bratkartoffeln geben sollen.

Jetzt kam er beim ehemaligen Laden des Milchmanns vorbei. Hier war eine türkische Änderungsschneiderei eingezogen. Früher ging er nach der Schule beim Milchmann “einholen". Oft stand Milch, Tilsiter und Mortadella auf dem von der Mutter geschriebenen Zettel. Meist ein viertel Pfund von der Mortadella. "Ein Viertel Mord im Keller" sagte der Milchmann und fragte, ob er die Wurst "auf Besuch schneiden" soll. Dann wählte Herr Roloff, so hiess der Milchmann, die feinste Einstellung auf der glänzenden Schneidemaschine, kurbelte munter pfeifend drauflos und legte die Wurstscheiben auf Pergamentpapier. "Nun sieht es doch gleich doppelt so viel aus!" sagte Herr Roloff dann zufrieden.
Die Milch, -Vollmilch-, es gab damals nur Vollmilch, wurde in die mitgebrachte Kanne aus Aluminium gefüllt. Sobald er den Laden verlassen hatte, begann er die Milchkanne, die keinen Deckel hatte, mit ausgestrecktem Arm und sich langsam drehend um seine eigene Achse kreisen zu lassen. Genau wie dieser olympische Hammerwerfer auf den Sammelbildern. Am schwierigsten war das Abbremsen der Kanne, ohne einen Tropfen zu verschütten. Einmal versuchte er, die Milchkanne von unten nach oben schwingend die Treppen zur Wohnung im ersten Stock hochzugehen. Dabei stiess er mit der Kanne gegen eine Stufe und verschüttete Milch, die auf der gebohnerten Treppe bläulich schimmerte.

Jetzt waren es nur noch wenige Schritte bis zu seiner Wohnung, die ganz in der Nähe der Wohnung der Eltern lag. Die Eltern waren beide gestorben und keines seiner Geschwister wollte die Wohnung übernehmen. Er öffnete die Tür des Treppenhauses. Es roch stark nach Parfüm. Seine junge Nachbarin hatte sicherlich gerade das Haus verlassen und der Duft lag noch im Treppenhaus. Er schaute in seinen Briefkasten, ging in den ersten Stock, öffnete seine Haustür, legte seine Tasche und die Haustürschlüssel auf die Kommode, ging in die Küche, schob sich ein Fertiggericht in die Mikrowelle und machte den Fernseher an, um sich eine Koch-Show anzusehen.

BS 07/2008